Samstag, 26. April 2008

Bei Liebeskummer Sokrates

von Kay Hoffmann

Philosophieren in Krisenzeiten, in Zeiten der inneren Auflösung, des Zweifels, des Übergangs, der Neuorientierung, aber auch der Konfrontation mit Vergänglichkeit und Tod birgt eine Chance, was durch kein Wissen und durch keine Wissenschaft als Angebot abgedeckt wird: die Erlaubnis, sich im Nichtwissen zu beheimaten; von dort ausgehend unterwegs zu sein. Sich erlauben, von Bildern und Eindrücken überwältigt zu werden, statt alles im Griff zu behalten.

Ignoranz erwächst aus der Verblendung, das Sichtbare als Beweis für die Begrenzung der Sichtweise zu benutzen und sich dem Offensichtlichen zu begnügen.

Die Bilder sind erst der Anfang. Wie Fichte schreibt: "Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind da. Sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder - Bilder, die vorüberschweben, ohne dass etwas sei, dem sie vorüberschweben; Bilder, die durch Bilder von Bildern zusammenhängen; Bilder, ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Bedeutung und Zweck. Ich selbst bin eins mit diesen Bildern, ja, ich bin selbst dies nicht, sondern selbst nur ein verworrenes Bild von Bildern. Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; verwandelt sich in einen Traum, der in einem Traum von sich selbst zusammenhängt!"

Das ist Philosophieren!

Das Lesen solcher Texte hat mir geholfen, mir in meinem Leben Raum zu nehmen, in dem solche Gedanken Platz haben. Damit bin ich ebenso bereit, auch anderen Menschen einen solchen Raum zuzugestehen. Dem Raum folgt die Zeit, und es entsteht eine Gelassenheit, die für sich selbst spricht. Philosophieren ist für mich auch immer eine sinnliche und leibgebunde Erfahrung, die sich in Stimmungen äußert bzw. diese mitbestimmt.
Die philosophische Praxis greift besonders auf das unmittelbar
innerlich erfahrene Wissen in jedem Einzelnen zurück. Es geht um ein innerlich erlebtes, gespürtes Wissen als persönliche Erfahrung von Gewissheit.

Der Anfang des Philosophierens ist leichter, als man es sich meist
vorstellt, weil zu oft Ängste und Zweifel den Schritt in die
Bewegtheit des Lebens behindern. Oder man hält an alten Strukturen fest, und merkt plötzlich, wie man in der Luft hängt und den Boden unter den Füßen verliert.

Schritt halten mit dem Verlauf des Lebens heißt Veränderung zu
bejahen, Bodenhaftung zu bewahren und in Bewegung zu bleiben.


Der Atem leitet uns an, er gibt uns einen natürlichen Rythmus mit seinem Einsetzen und Ausklingen, der Pause, die zwischen den Phasen enstehen kann, wenn sie zugelassen wird.
Umstände im Leben kommen und gehen, Zyklen, Jahreszeiten, Tageszeiten. In der Erinnerung erscheinen sie uns wie Zeitrafferfilme, in denen sich Blüten öffnen und schließen, aufblühen und verwelken. Die ständige Veränderung vollzieht sich innerhalb einer immer währenden Strömung, in einem ständigen Fließen. Eine verantworungsvolle Gestaltung und Ausrichtung ist nur möglich, wenn wir uns grundsätzlich auf eine Zustimmung zur Welt einlassen und uns der Strömung hingeben. Wenn wir merken, dass wir nicht aus dem Fluss aussteigen können, merken wir, dass wir nun die besten Chancen bekommen, das Leben zu lernen.

Uns muss bewusst sein, wenn wir alles kontrollieren und im Griff behalten wollen, verkleinert sich die Welt und ist schließlich
begrenzt auf einen einzigen Standpunkt, der nun schon längst
überholt ist.


Je mehr Dinge außer Kontrolle geraten, umso mehr versucht man, das Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen, und desto größer wird die Anstrengung, die Oberhand zu behalten. Es erscheint das Leben wie ein Schwindel, ein böser Traum, der uns auf das Erwachen warten lässt ... Aber ein Traum fügt sich an den anderen, und es geht nicht darum, aus dem Traum zu erwachen, sondern das Erwachen zu träumen.

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