von Khalil Gibran
Dann sagte eine Frau: Sprich uns von der Freude und vom Leid.
Und er antwortete:
Eure Freude ist euer Leid ohne Maske.
Und derselbe Brunnen, aus dem euer Lachen aufsteigt, war oft von euren Tränen erfüllt.
Und wie könnte es anders sein?
Je tiefer sich das Leid in euer Sein eingräbt, desto mehr Freude könnt ihr fassen.
Ist nicht der Becher, der euren Wein enthält, dasselbe Gefäß, das im Ofen des Töpfers brannte?
Und ist nicht die Laute, die euren Geist besänftigt, dasselbe Holz, das mit Messern ausgehöhlt wurde?
Wenn ihr fröhlich seid, schaut tief in eure Herzen, und ihr werdet finden, dass nur das, was euch Leid bereitet hat, euch auch Freude gibt.
Wenn ihr traurig seid, schaut wieder in eure Herzen, und ihr werdet sehen, dass die Wahrheit um das weint, was euch Vergnügen bereitet hat.
Einige von euch sagen: "Freude ist größer als Leid", und andere sagen: "Nein, Leid ist größer."
Aber ich sage euch, sie sind untrennbar.
Sie kommen zusammen, und wenn einer allein mit euch am Tisch sitzt, denkt daran, dass der andere auf eurem Bett schläft.
Wahrhaftig, wie die Schalen einer Waage hängt ihr zwischen eurem Leid und eurer Freude.
Und wenn ihr leer seid, steht ihr still und im Gleichgewicht.
Wenn der Schatzhalter euch hochhebt, um sein Gold und sein Silber zu wiegen, muss entweder eure Freude oder euer Leid steigen oder fallen.
c4luxe - 20. Mai, 10:11
Darf ich ehrlich sein? Ich finde diesen Titel ja schon etwas peinlich ...
Die implizite Frage: Was sollen denn die anderen von mir denken geht Hand in Hand mit dieser Scham. Da "muss" ich mir wohl erst mal Selbst-Empathie geben, bevor ich fortfahren kann:
Warum ist es mir denn so peinlich?
Diese Frage hat mich gerade zur Schamkultur bei Wikipedia gebracht, immer wieder erstaunlich wohin einem das Internet führen kann. Zitat: "In der Schamkultur gilt die öffentliche Wertschätzung als höchstes Gut." Und genau darum geht es ja auch mir! Um die öffentliche Wertschätzung - und es kommt eine Angst auf, weil ich sie in Gefahr sehe.
Mama!! Ich hab Aaaangst!
Mama ist von vielen das erste Wort, welches wir aussprechen. Es erinnert an unsere Kindheit und damit verbunden: unsere Abhängigkeit! Ich weiß noch genau, wie ich als Teenager für Mama andere Namen suchte, teilweise sogar abwertende. "Was, so nennst du deine Mama?", fragten dann oft meine Freundinnen und ich fand mich voll cool, gelöst, unabhängig auf ganz subtile Weise. Genauso fällt mir ein, wie ich darauf geachtet habe, wie ich bzw. Freunde mit ihren Eltern anders telefoniert haben als mit Gleichaltrigen (beinahe hätte ich Gleichgesinnte geschrieben).
Die Fragen selbst beantworten
Das, was ich jetzt etwas humorvoll schildere, ist aber in Wirklichkeit ein wesentlicher Prozess, will mensch nicht nur anhand der wachsenden Lebensjahre reifen. Nach und nach und mit viel Achtsamkeit ist es unterstützend und unabdingbar, das heranwachsende Kind selbst antworten zu lassen - und lernen, diese auch zu verantworten. Und noch wichtiger: nicht den Eltern gegenüber verantworten, und auch keiner Religion, Staat oder Freundin: sondern alleinig sich selbst. Dafür braucht es Selbstliebe, Unterstützung und Reife. Letzteres sehe ich in Gefahr, wenn ich von meiner Mama spreche. Es kommen rechtfertigende Gedanken, ich lebe so und so viele Jahre schon mein eigenes Leben ... !
Wir wollen ja doch alle dasselbe!
Nämlich geliebt werden. Die Eltern von ihren Kindern und natürlich umgekehrt. Den Kindern fällt es phasenweise aber sehr schwer, es zu zeigen. Den Eltern leider öfters auch, und nicht nur aus meiner Erfahrung mit der Familienaufstellung ahne ich, das dies wiederum weitgehend von ihren Eltern beeinflusst ist. Aber es ist doch schon etwas eigenartig, wenn sich Vater und Sohn nicht umarmen können, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Was würden wohl die anderen denken? Hihi... lustig und traurig zu gleich. Die "anderen" sind ja sowieso in ihrer eigenen Welt, und wenn sie mal rausschauen, dann sehen sie zwei Menschen, die sich gern haben. Wow, dafür zahlen manche Geld, um es im Kino zu sehen.
Wie gehts weiter?
Ich bedauere es ja sehr, wie belastet viele unserer Familien sind, besonders zwischen den Generationen. Viele Eltern stellen klare Erwartungen an ihre Kinder, und diese haben scheinbar nur zwei Möglichkeiten, wenn sie sich auf dieses Spiel einlassen: eigene Interessen unterordnen um (fremde!) Erwartungen zu erfüllen, mitspielen um "geliebt" zu werden. Oder der Unabhängigkeitsdrang, "nichts wie weg", ich bau mir ganz alleine alles auf. Beides bereitet sehr viel Schmerz, wenn ich auch nicht sagen will, das es falsch ist bzw. es einen Weg gäbe, der ohne Schmerz zu gehen wäre. Ich möchte trotzdem beides: Freiheit, das zu tun, was ich denke was richtig für mich ist und Verbindung zu meiner Familie: Verständnis, Unterstützung, Liebe.
Danke Mama
Als ich im Kindesalter den Spruch "Alles ist gut" einmal hinterfragte, der auf ihrer Pinnwand steckte, Beispiele brachte, die defintiv nicht gut seien und sie zustimmen musste, freute ich mich. Ha, sie hat nicht immer Recht und somit muss ich auch nicht immer auf sie hören. Das habe ich meine Jugend lang ausgekostet. Heute sehe ich den Wert und die Weisheit dieser Grundhaltung, die dahinter steht, so deutlich, dass ich dieser nicht nur meinen Blog, sondern mein ganzes Leben widme: Alles ist gut, alles hat seinen Wert. Meine Mama hat mir auch in der tiefsten (Des-)Orientierungsphase vertraut, mich geliebt, auch als ich beispielsweise überlegt habe, die Schule abzubrechen.
Die Revolution des Herzens
Sie hat etwas besonderes erkannt, wovon wir als Menschen noch eine weitere tiefgehende "Aufklärung" brauchen: dass der Wert eines Menschen nicht davon abhängt, was er tut, sondern was er ist. Ganz egal ob Mutter, Tochter, Schwester, Schwarz, Weiß, Alt, Gesund, Arm, Reich.
Heute und jetzt kann ich sagen, dass ich stolz bin, dein Sohn zu sein, dass ich dich und deinen Lebensweg bewundere und glücklich bin, dass wir uns heute so gut verstehen.
Danke Mama!
Dein Sohn
Christian
c4luxe - 18. Mai, 17:11
von Krishnamurti
Unsere größte Schwierigkeit ist es, sich in aller
Weite und Tiefe dessen bewusst zu sein, dass es
keine Möglichkeit gibt zu lieben, wenn diese Liebe
ein Motiv und Ziel des Verstandes darstellt.
Wenn wir das wirklich und grundlegend
verstehen, dann gibt es eine Möglichkeit,
etwas zu empfangen, was nicht von dieser
Welt ist.
Ohne die Berührung durch dieses Etwas können
wir tun, was wir wollen – und doch wird es kein
bleibendes Glück in Beziehung geben.
Wenn Sie diesen Segen empfangen haben und
ich nicht, werden wir naturgemäss in Konflikt
miteinander stehen.
Sie sind vielleicht nicht im Konflikt, aber ich, und
in meinem Leid und meinem Kummer isoliere ich
mich selbst.
Kummer ist genauso ausschliessend wie
Vergnügen, und bis es nicht eine Liebe gibt,
die ich nicht selbst gemacht habe, ist Beziehung
Leid.
Wenn es den Segen dieser Liebe gibt, können Sie
gar nicht anders, als mich zu lieben, wie ich auch
sein mag, denn dann gestalten Sie Liebe nicht
entsprechend meines Verhaltens.
c4luxe - 17. Mai, 17:56
In den letzten Tagen frage ich mich, was es eigentlich ist, das mich bei anderen Menschen anzieht. Warum fühle ich mich bei jenen Menschen wohl, bei denen ich mich wohl fühle. Weshalb möchte ich mit jenen Menschen mehr Zeit verbringen als mit anderen?
Vergangenes Wochenende durfte ich wieder Tage erleben, in denen ein gemeinsames wohlwollendes Sein, eine
vertraute Gemeinschaft entstanden ist. Und das innerhalb 2-3 Tage zwischen ~80 Menschen. Natürlich ist es etwas blauäugig in so kurzer Zeit von einer Gemeinschaft zu sprechen - aber die Qualität der Verbindung war in vielen Momenten präsent.
Wir haben es nie gelernt.
Zu Beginn des Symposiums konnte jeder einen Stein in die Mitte legen - beschriftet mit einer Erwartung für die gemeinsamen Tage. Ehrlichkeit, Akzeptanz, Inspiration, Vertrauen, echte Begegnungen ...
Was macht es mit mir, wenn jemand vor der großen Runde sagt: Ich wünsche mir den Mut, mich zu zeigen, wie ich bin. Es berührt mich - es öffnet mich - ich fühle Verbundenheit. Und noch mehr, wenn eine alte Dame mit Tränen in den Augen am letzten Tag meint: Wir wären so respektvoll miteinander umgegangen, sie sei davon beeindruckt und traurig zu gleich, denn sie hätte diese Art der Begegnung nie gelernt.
Am liebsten hätte ich sie umarmt in diesem Moment, aber das tat bereits ihr Sitznachbar.
Gemeinsames erleben
Wir kommen meist mit jenen in Kontakt, ins Gespräch, mit denen wir etwas Gemeinsames erleben. Daraus entsteht eine Verbindung. Typisches Beispiel gemeinsame Schulzeit. Wir können damals so gut wie nichts miteinander gesprochen haben, oder vielleicht nur scheinbar Belangloses, und trotzdem interessiere ich mich für den Menschen. Wir haben etwas gemeinsam: in dem Fall eine gemeinsame Vergangenheit. Aber das ist manchmal dann doch etwas wenig, wenn Menschen sich nur auf wenigen oberflächlichen Ebenen austauschen können - Stichwort Klassentreffen. Aus dieser Unzufriedenheit ist bei mir früher manchmal der (verzweifelte) Wunschgedanke entsprungen: Warum gibt es nicht Menschen wie mich, die genauso sind, die das wollen wie ich,
die auch alles für andere tun würden. Daraus lässt sich gut meine Sehnsucht ableiten: die Suche nach dem Gemeinsamen. Anfangs sind das vor allem Sport, Musik, Hobbys, Beruf - gemeinsame Interessen. Aber im Grunde genommen ist das nur ein Bruchteil, der Anknüpfungspunkt.
Entscheidend ist nicht das was, sondern das wie
Ich kann mit jemanden jahrzehntelang Fußball spielen, und es kann sich daraus eine tiefe Freundschaft entwickeln. Nicht aufgrund der gemeinsamen Tätigkeit, sondern aufgrund der Art und Weise, wie wir uns begegnen: mit Anerkennung, Wertschätzung, Interesse. Und genauso kann ich mit jemanden die große Vision haben, das gemeinsame Projekt, und unsere Beziehung kann sich mit einem Konflikt auflösen. Das gemeinsame Tun bringt uns in Verbindung, die Qualität der Begegnung wird aber durch die Echtheit bestimmt:
Kann ich so sein, wie ich bin?
Kann ich traurig sein, wenn mir danach ist? Ist es willkommen, auch das zu zeigen? Erst wenn all das leben kann, was in mir lebendig ist, bin ich frei und präsent. Ich lebe im Augenblick, ich lebe den Augenblick. Und erst dann kann ich auch die anderen so wahr-nehmen, wie sie sind. Das verstehe ich unter einer echten Begegnung, und das ist es, was ich mir wünsche.
Tun und Sein
Ich möchte aber noch einen Schritt weiter gehen: das Zeigen können ist schön, aber was ist, wenn ich mich gerade darin weiter vertiefen möchte. Wenn ich jene Ideen und Visionen in mir trage, suche und leben möchte, die dieses Bewusstsein stärken? Wenn ich mich sozial engagieren möchte, um mit vielen Menschen diese Umgangsform zu lernen. Aus diesem Beweggrund ziehen mich eben gerade jene Menschen an, die auch Feuer für meine Anliegen gefangen haben, und sich daraus ein Umfeld der gegenseitigen Inspiration, Bestärkung und Ermutigung entfaltet. Dann wird das Tun zum Sein und das Sein zum Tun, das eine kräftigt das andere und ich komme mit mir als auch anderen mehr und mehr in Berührung: und damit findet auch mit meinen Bedürfnissen und Sehnsüchten eine echte Begegnung statt.
c4luxe - 16. Mai, 09:03
von Hermann Hesse
Daß das Schöne und Berückende
Nur ein Hauch und Schauer sei,
Daß das Köstliche, Entzückende,
Holde ohne Dauer sei:
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Daß sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer.
Und das Dauerhafte, Starre
Ist uns nicht so innig teuer:
Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen,
Bleiben fern und fremd, sie gleichen
Uns Vergänglichen nicht, erreichen
Nicht das Innerste der Seelen.
Nein, es scheint das innigst Schöne,
Liebenswerte dem Verderben
Zugeneigt, stets nah am Sterben,
Und das Köstlichste: die Töne
Der Musik, die im Entstehen
Schon enteilen, schon vergehen,
Sind nur Wehen, Strömen, Jagen
Und umweht von leiser Trauer,
Denn auch nicht auf Herzschlags Dauer
Lassen sie sich halten, bannen;
Ton um Ton, kaum angeschlagen,
Schwindet schon und rinnt von dannen.
So ist unser Herz dem Flüchtigen,
Ist dem Fließenden, dem Leben
Treu und brüderlich ergeben,
Nicht dem Festen, Dauertüchtigen.
Bald ermüdet uns das Bleibende,
Fels und Sternwelt und Juwelen,
Uns in ewigem Wandel treibende
Wind- und Seifenblasenseelen,
Zeitvermählte, Dauerlose,
Denen Tau am Blatt der Rose,
Denen eines Vogels Werben,
Eines Wolkenspieles Sterben,
Schneegeflimmer, Regenbogen,
Falter, schon hinweggeflogen,
Denen eines Lachens Läuten,
Das uns im Vorübergehen
Kaum gestreift, ein Fest bedeuten
Oder wehtun kann. Wir lieben,
Was uns gleich ist, und verstehen,
Was der Wind in Sand geschrieben.
c4luxe - 13. Mai, 21:29
von Rainer Maria Rilke
Aber das Bewusstsein vorausgesetzt,
dass auch zwischen den nächsten Menschen
unendliche Fernen bestehen bleiben,
kann ihnen ein wundervolles Nebeneinanderwohnen erwachsen,
wenn es ihnen gelingt,
die Weite zwischen sich zu lieben,
die ihnen die Möglichkeit gibt,
einander immer in ganzer Gestalt und
vor einem großen Himmel zu sehen!
c4luxe - 6. Mai, 16:15
Vergangene Woche bin ich wieder einmal in eine "wildfremde" Gruppe gestolpert. Vielen Menschen fällt es schwer, sich in solchen unvertrauten Umgebungen und der gegebenen Unsicherheit hinsichtlich dem, was kommen mag, wohl zu fühlen. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich zu einem "Dialog" im Verein zur Förderung der Lebensqualität gehe oder nehmen wir einen Extremfall her: ein Tibeter bin, der in einem chinesischen Straflager landet.
Eine Frage der Wertschätzung?
Es gibt Studien, dass gefolterte TibeterInnen in einem weit geringeren Ausmaß psychisch belastet sind als andere Folterungsopfer. Ursache ist das Mitgefühl für den Täter. Ich isoliere mich nicht vollständig, sondern versuche auch in solch einer schockierenden Situation eine gewisse Verbindung und Wertschätzung aufrechtzuerhalten: ich bin nicht das passive Opfer, identifiziere mich nicht mit dieser leidenden Rolle und kreiere damit auch kein zusätzliches Selbstmitleid.
Natürlich ist das jetzt kein Paradebeispiel zum Glücklich sein, und ich wünsche auch niemanden diese Erfahrung, aber es zeigt, wie weit eine Wertschätzung den Lebenswert aufrechterhalten kann.
"Ich habe einfach kein Glück im Leben!"
Wenn wir mit Menschen ins vertrautere Gespräch kommen, zeigen sich bald auch deren Wunden. Ganz gleich ob wir in armen, reichen, authoritären oder freieren Umfeldern aufwachsen, wir alle erleben nicht nur physischen Schmerz, sondern fallen auch psychisch so manches Mal auf die Nase. Beim Erzählen davon wird die Stimme zarter, die Tränen beginnen zu glitzern und mensch spürt die Intensität, wie solche Erfahrungen uns berühren. Das Leben stellt uns so manche Herausforderung, können wir sie wertschätzen? Kann ich meine und die Wunden anderer annehmen, zuhören, einen Sinn dahinter erkennen? Kann ich meinen bisherigen Lebensverlauf heute so akzeptieren und aus der passiven "Schicksalsopferrolle" aussteigen, um mein Leben jetzt aktiv zu gestalten?
"Ich bin ein menschliches Wesen und kenne deshalb auch alles Menschliche."
Ich bin also in dieser Gruppe, keiner kennt mich, sie kennen sich untereinander. Wie ich reagiere ist immer wieder spannend. Ich war gelassen, warum sollt ich ja auch angespannt sein? Ich bin ja hier um so zu sein, wie ich bin, und dafür muss ich mir wirklich keinen Druck machen. "Komm Christian, sei jetzt wie du bist, du musst dein Bestes geben!", könnte mein innerer Perfektionist sagen, aber darüber kann ich doch nur lachen! Wie schön! Und wenn ich schüchtern gewesen wäre? Ja schön, ich wertschätze auch das, das hat nunmal auch seine Berechtigung - und außerdem bin ich ein Stratege: erst wenn ich es zulasse, kann es auch wieder gehen. Ich wäre ja ordentlich beklemmt, wenn ich meine unangenehmen Empfindungen verklemmen würde.
Nix da, raus mit ihnen. Und tschüss!
"Als die Gruppe sich formierte, waren wir 30 Leute, jetzt sind wir nur noch ein Grüppchen. Ich überleg mir ernsthaft, ob ich auch nicht mehr kommen soll."
Wusch! Auf einmal stand diese Wortmeldung eines Teilnehmers im Raum, und weg war die "talking stick" Regel und die Harmonie.
"Also ich find unsere Gruppe sehr schön, es lässt sich viel besser auf die einzelnen Menschen eingehen und es ist nicht so chaotisch ...", kam sofort als Reaktion.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen - warum auch. Das ging dann einmal 5-10min so weiter, bis ich den "Redestab" ergriff. Wir hatten davor eine Stunde über die Bedeutung von Wertschätzung gesprochen. Jetzt hatten wir das perfekte Beispiel dafür: mit der ersten Aussage wurde eine Abwertung geäußert, nämlich, dass diese Gruppe für ihn weniger "Wert" hätte als die größere davor, und er ernsthaft überlegt auch auszusteigen. Für solch eine Aussage bedarf es vor allem an Mut und natürlich an Fingerspitzengefühl, an dem es vielleicht etwas mangelte. Zumindest kam keine verständnisvolle, empathische Reaktion, sondern eine entkräftigende wie "ist doch gar nicht wahr".
Für ihn ist es aber wahr, und das sollte wertgeschätzt werden.
Alleine seine Ehrlichkeit, seine Gedanken so offen zu äußern. Das fällt bei positiven Eindrücken natürlich viel einfacher als bei negativen, eben gerade deshalb, weil Ablehnendes einfach von anderen auch wiederum abgelehnt wird. Er hätte genauso einfach nicht mehr kommen können. Tja. Und damit geht auch das Potenzial, sich diese Spannung, die wohl jede/r irgendwie schon bemerkte, kollektiv bewusst zu machen und: darüber einen Dialog zu führen. Dadurch kann aus der scheinbar abwertenden Aussage etwas entstehen, dass einen Wert erschafft, den niemand davor für möglich gehalten hätte. Die Basis dafür ist Wertschätzung, auch für scheinbar Belastendes. Wenn ich mich dem reaktionären Impuls des Abwertenden nicht gelähmt ausliefere, sondern diesem Wert einräume, dann steige ich aus der "Abwertungsspirale", bejahe und fördere das Lebenswerte und fühle mich echt und frei: das verstehe ich unter der, nein, unter unserer Macht der Wertschätzung.
c4luxe - 4. Mai, 19:28
von Luigi Nono
Lebendig ist, wer wach bleibt,
sich dem anderen schenkt,
niemals rechnet.
Lebendig ist, wer das Leben liebt,
seine Begräbnisse, seine Feste,
wer Märchen und Mythen
auf dem ödesten Berg findet.
Lebendig ist, wer das Licht erwartet,
in den Tagen des schwarzen Sturms,
wer die stilleren Lieder
ohne Geschrei und Schüsse wählt
sich zum Herbst hinwendet
und nicht aufhört zu lieben.
c4luxe - 29. Apr, 16:33